Erster Weltkrieg und das Reformationsjahr 1917

Der große Reformator und sein dunkler Schatten

Vor 100 Jahren, am 01. August 1914, trat das Deutsche Reich in den Ersten Weltkrieg ein. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nahm ihren Lauf, die Kirchen in Deutschland gaben dazu ihren Segen. Dieser Krieg sollte das Gesicht Europas für immer verändern.

In Deutschland gab es von 1910-1914 eine Kirchenaustrittswelle. Beide Großkirchen lagen am Boden. In der Schrift „Luther lebt!“ schreibt der Rektor der Ritterakademie zu Brandenburg „Wir kommen ja aus glaubensarmer Zeit.“
Die Bewegung der Aufklärung und die Französische Revolution hatten die jahrhundertelange Vormachtstellung und Autorität der großen Kirchen in Frage gestellt.

V12765 S 3 Kaiser Wilhelm 1914Die evangelische Kirche stand dem preußischen Staat und dem Kaiserreich näher, "war in großen Teilen sogar mit ihm deckungsgleich" (Münkler). Wilhelm II. war Monarch und gleichzeitig Oberhaupt der evangelischen Kirche Preußens. Die Versuchung war groß, neuen Einfluss zu gewinnen, indem man sich von der Politik willfährig einspannen ließ. Auch bei der moralischen Überhöhung der eigenen Nation. Das Eintreten für das eigene Land oder Volk wurde zur Pflicht gegenüber Gott, zum nahezu heiligen Akt erklärt. So setzten die Kirchen in jedem europäischen Land ihre gesamten Mittel und Möglichkeiten ein, um den Zielen der je eigenen Nation zu dienen: Gottesdienste und Seelsorge, diakonische Dienste. In den ersten Monaten des Krieges waren die Kirchen voll. Die Menschen hörten dort keine Friedensappelle, sondern Aufrufe, den Krieg zu unterstützen, auch mit dem Opfer des eigenen Lebens – für Gott und Vaterland. "Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube" seien in ein hoffnungsloses Durcheinander geraten, wunderte sich 1914 der Theologe Karl Barth. Der Oberhofprediger Ernst Dryander befeuerte im Berliner Dom die Massen: "Wir ziehen in den Kampf für unsere Kultur – gegen die Unkultur! Für die deutsche Gesittung – gegen die Barbarei! Für die freie, an Gott gebundene Persönlichkeit – wider die Instinkte der ungeordneten Massen. Und Gott wird mit unseren gerechten Waffen sein!" Im religiösen Kriegseifer erlosch jedes Verständnis für Jesus, für Demut, Feindesliebe. Zunächst ging es beiden Kirchen darum, ihre nationale Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen, sie wollten nicht wie "vaterlandslose Gesellen" dastehen. wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Beide werteten den Krieg auch als Möglichkeit, den neuzeitlichen Umbrüchen in der Wissenschaft Paroli zu bieten und der wachsenden Entkirchlichung entgegenzuwirken. Die ersten Kriegspredigten wurden gehalten, die alle den gleichen Inhalt haben: Deutschland ist an diesem Krieg unschuldig, es ist überfallen worden und Gott ist aufseiten dessen, dem Unrecht geschieht. Am Tag der Mobilmachung vor dem Berliner Schloss sangen Tausende Menschen "Nun danket alle Gott".





Beim Beginn des Krieges durchflutete auch die Stadt Brandenburg eine ungeheurere Begeisterung. Die Bürgerschaft, die 5.500 Mann zu sich in Quartier nehmen musste, „konnte sich nicht genug tun in freiwilligen Quartierleistungen und Liebesdiensten“, heißt es in einem Bericht. Die Stadt bot das Bild eines großen Heerlagers.

erster weltkrieg reformationDie Soldaten ziehen auch 1915 noch fröhlich von ihren Müttern, Frauen und Kindern begleitet, an die Front. Der Soldatentrupp bewegt sich von der Plauer Straße durch die Ritterstraße zum Bahnhof. (Stadtmuseum Brandenburg an der Havel) Beim Beginn des Krieges durchflutete die Stadt eine ungeheurere Begeisterung. Die Bürgerschaft, die 5.500 Mann zu sich in Quartier nehmen musste, „konnte sich nicht genug tun in freiwilligen Quartierleistungen und Liebesdiensten“, heißt es in einem Bericht. Die Stadt bot das Bild eines großen Heerlagers.  Viele Freiwillige hatten sich gemeldet, in dem festen Glauben, Weihnachten wieder zu Hause zu sein.
Die Kirche stellte sich ganz in den Dienst des Kaiserreiches. Theologen beider Konfessionen stellten den Soldatentod auf eine Stufe mit dem Opfertod Jesu. Folglich sei es eine Selbstverständlichkeit, so die vorherrschende Meinung in Kirchenkreisen ebenso wie im Bürgertum, dass deutsche Männer bereit seien, ihr Leben "für Gott, Kaiser und Vaterland" zu opfern:
Am 27. September 1914 verfasste Pfarrer Otto Franck von St. Paulikirche ein Trostwort an die Eltern eines den Heldentod erlittenen Sohnes einer befreundeten Familie.
Und es wird nicht nur Mitleid sein, was sie bei der Nachricht von seinem Tode erfüllt, sondern auch Hochachtung und Dankbarkeit. Wir nennen den Kriegsschauplatz nicht umsonst das Feld der Ehre. Und der Tod in der Schlacht gilt uns nicht umsonst als Heldentod. Deshalb erwirbt der Mensch mit seinem Tod für das Vaterland vor allem eine Anwartschaft aufs ewige Leben.





Wenn uns in unserem Evangelium erzählt wird, daß Jesus den Jüngling zu Nain aus dem Tode ins irdische Leben zurückgerufen hat, so soll das denen, die um einen lieben Gefallenen klagen, ein Sinnbild der Auferstehung zum ewigen Leben sein. Für uns Christen ist der Tod nichts anderes als die Pforte zum himmlischen Vaterhaus, wo auf allen Kampf herrlicher Sieg, ewiger Friede folgt, wo auch keine Wunden mehr bluten und brennen, sondern Glück und Seligkeit uns umfängt.
Reformationsfest 1917 in Brandenburg 1917, in der Endphase des Ersten Weltkrieges, war keine Vokabel zu schwach, um die Erinnerung an Luther propagandistisch zu verwerten, damit die Deutschen weiterhin an den Sieg über ihre Feinde glauben sollten. Oberbürgermeister Schleusener erkannte, dass seit Mitte des Jahres 1917 „die Zeichen der Erschöpfung immer auffälliger“ wurden.
Wie haben die Protestanten das Luther-Jahr 1917 begangen? Mit großen Feiern, in denen Martin Luther als der deutsche Nationalheld schlechthin stilisiert wurde. Der Reformator mit dem breiten Rücken wurde zum kraftvollen Vorbild erklärt. Sein Kampfesmut und seine Hartnäckigkeit sollten den von den Kriegsfolgen geplagten Deutschen neuen Mut machen. Aus dem Kontext der Reformationszeit herausgelöste Texte Luthers dienten dem Kriegswillen: "Erhalt uns Herr, bei deinem Wort / und steure deiner Feinde Mord, / die Jesus Christus, deinen Sohn, / wollen stürzen von deinem Thron."
Die Prediger der evangelischen Gemeinden schrieben in einem Brief vom 21.Oktober 1917 unter dem Titel „Jubelfest der evangelischen Kirchen“ die christlich-evangelischen hochverdienten Männer nähern sich jetzt den in denkwürdigen Tagen, welche sie an die, im 16. Jahrhundert bewirkte , segensreiche Stiftung ihrer Kirche erinnern, die ihnen den großen heldenmütigen, der der christlichen Wahrheit und Freiheit von ganzem Herzen huldigenden Mann, Doctor Martin Luther, und andere , um ihren Glauben , um ihre Denk- und Gewissensfreiheit ebenfalls hochverdienten Männer in ihr dankbares Andenken zurückrufen, und deren Gedächtnisfeier sie zum innigsten Dank gegen den moralischen Weltregierer, von dem überall, auch in dem Reiche der Wahrheit und Tugend, alles Gute herkommt und befördert wird, erwecken ein ernstliches Bestreben, als Kinder des Lichts (als evangelische Christen) zu wandeln, in ihnen anregen, und sie kräftigen und ermutigen soll, für heilige Sache der Religion alles zu tun , alles zu wagen, alles zu leiden, alles zu dulden, Gott mehr zu gehorchen als dem Menschen, und in einem rühmlichen Eifer für Wahrheit und Recht auszuharren bis ans Ende, wodurch allein die Krone des ewigen Lebens errungen werden kann.
Spätestens in den Schützengräben von Verdun merkte man, wie viele Opfer dieser Krieg forderte. In der zweiten Kriegshälfte wurden Kirche und Gesellschaft immer kritischer. Nun wurde der Krieg zum Kampf des Guten gegen das Böse, des Christlichen gegen den Teufel - und der Teufel, das waren die Anderen. So konnte man es auch in der Schrift „Luther lebt!“ von Rektor der Ritterakademie Grußendorf nachlesen.

Im Rahmen dieser Festlichkeiten veranstaltete die Stiftung Wredowsche Zeichenschule eine bis dahin in dieser Qualität noch nie stattgefundene Sonderausstellung.

Mit dem Fortschreiten des Krieges und der wachsenden Anzahl der Todesnachrichten wird auch der Ton der zuvor recht markigen Predigten leiser:
"Es wird die Kategorie des Leidens mehr betont, in der Predigt die Passionsgeschichte. Da ist nicht mehr die anfängliche Halleluja-Stimmung; hier ist jetzt ein Themenwechsel bei den Predigten eingetreten.
Nie zuvor waren so viele Menschen vom Massentod betroffen wie im 20. Jahrhundert.
Dennoch wurde das Massensterben immer wieder mythisch verklärt – beispielsweise durch Kriegerdenkmäler und Gedenktafeln. Der Soldatenfriedhof im heutigen Verständnis entstand in dieser Zeit.
Am 20.10.1921 wurde die Gedenktafel für die im Weltkrieg gefallenen Lehrer, Zöglinge und Schüler der Ritterakademie, die für Kaiser und Reich, kämpften und starben im Dom zu Brandenburg enthüllt. Generalfeldmarschall von Hindenburg war an der Spitze des Festzuges, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen.

Kunst

V20046Kb Steintorturm I WKAuszug der Truppen aus Brandenburg (vom Steintorturm aus gesehen) vor 1. Weltkrieg, Honegger, M., Aquarell, 1914, 27,5 cm x 21,9 cm (Inv.-Nr. V20046Kb)


V199Ka Soldaten in KircheDeutsche Soldaten in französischer Kirche (Inv.-Nr. V199Ka)